Das Büro und seine Relevanz in der Post-Covid-Ära – Insight-Artikel von Harry Tettinger
Kein „Weiter so”
Die Grenzen zwischen dem zu Hause und dem Arbeitsplatz sind für viele Büroangestellte mittlerweile verschwommen. Das Homeoffice birgt für viele Menschen Vorteile: Der Arbeitsweg entfällt, der Komfort im eigenen Heim ist hoch und bei Bedarf kann man in der Pause schnell Erledigungen tätigen. Es bringt aber auch potenzielle Herausforderungen mit sich. Dazu zählen Ablenkungen und das Verschmelzen von Arbeits- und Privatleben. Darüber hinaus distanzieren sich Kollegen zunehmend voneinander.
Die Frage steht im Raum: Gehört die Arbeit in zentralen Büros von Organisationen der Vergangenheit an? Werden in den Innenstädten zum Leerstand verdammte Gebäude hochgezogen? Viele Beobachter gehen davon aus, dass dies nicht passiert. Aber die Anforderungen an die Büros von heute und in Zukunft haben sich mit den Lehren der Corona-Pandemie geändert. Der Mensch steht mehr denn je im Fokus der Überlegungen. Auch gestiegene ESG-Anforderungen der Unternehmen selbst spielen eine gewichtige Rolle.
Bürogebäude bleiben wichtige Größen
Büros müssen den neuen Anforderungen gerecht werden. Besonderer Fokus sollte auf folgenden Punkten liegen:
- Soziale Interaktionen fördern
- Räume für kollaborative Aufgaben schaffen
- Ansprechendes, zeitgemäßes Design
- Hochwertige technische Ausstattung
- Niedrige Verbrauchswerte mit Blick auf ESG-Credentials
Das Ergebnis sollte sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern die perfekte Arbeitswelt bieten: eine interaktive, an flexibles Arbeiten angepasste Arbeitsqualität mit hoher Aufenthaltsqualität.
Das Büro bietet sowohl Individuen als auch gesamten Organisationen zahlreiche Vorteile. Dazu zählen beispielsweise eine vereinfachte Zusammenarbeit mit Kollegen und stärkere soziale Bande, die bei der physischen Interaktion entstehen. Dadurch entstehen die typischen „Kaffeepausenmomente“, die man am heimischen Schreibtisch einfach nicht erlebt. So können der Geschäftsführer und das jüngste Teammitglied in einem spontanen, informellen Meeting zusammentreffen und mit anderen Mitarbeitern brainstormen.
Studien haben außerdem gezeigt, dass sich die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben positiv auf die mentale Gesundheit auswirkt. Sie hilft, Struktur und Routinen zu entwickeln und beibehalten. Das bestätigt auch ISGs zweite Ausgabe seiner Studie „The Power of Place: Die Konsequenzen des Nichthandelns“. Die positiven Effekte von sozialer Zusammenkunft und fehlender professioneller Interaktion gehören zu den wichtigsten von Arbeitnehmern genannten Gründen, nicht ausschließlich Remote arbeiten zu wollen.
Auch die Qualität der Ausstattung spielt bei der Entscheidung für oder gegen das Büro eine Rolle. Zwar besitzen viele Menschen zuhause bereits eine gute technische Ausstattung für den entsprechenden Arbeitsplatz – die Qualität der Ausstattung im Büro ist aber meistens deutlich stärker auf die Arbeitsanforderungen zugeschnitten. Auch die Möglichkeit, von erfahrenen Kollegen zu lernen, wurde in der Befragung von Arbeitnehmern als Grund genannt, ins Büro zu kommen.
Das und die soziale Komponente sind starke Argumente, in modern gestalteten Büros gemeinsam zu arbeiten, statt ausschließlich für sich selbst genommen im Homeoffice.
Wie bringt man alle zusammen
Um adäquate Büros zu liefern, die höchsten Ansprüchen genügen, müssen Unternehmen in ihre Büroflächen investieren – eher früher als später. Sie dienen zum einen als Visitenkarte im Recruiting und können zum anderen auch dazu beitragen, Mitarbeitende ins Büro zu locken. Aber auch in Zahlen zeigt sich, dass Investments in die Flächen lohnen. Die in „Power of Place“ befragten Unternehmen, die in ihre Office-Flächen und flexibles Arbeiten investierten, berichteten von Umsatzsteigerungen in Höhe von bis zu 23,5 Prozent. Derweil gaben die anderen Unternehmen eine Umsatzsteigerung von bis zu 0,5 Prozent an.
The Power of Place: Die Konsequenzen des Nichthandelns
In unserer neusten ISG-Studie haben wir die Auswirkungen der aktuellen Krisen und besonders der Corona-Krise auf die Arbeitswelt aus den Perspektiven von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beleuchtet.
Moderne Büros müssen demnach das Zuhause der Angestellten als Arbeitsplatz qualitativ übertreffen. Das gilt für die Anforderungen an die technische Ausstattung, die Aufenthaltsqualität oder die gastronomischen Anforderungen, aber auch für die Nachhaltigkeitsanforderungen und das Design. Entscheidungen, die diese Themenbereiche betreffen, sollten auf Grundlage einer soliden Datenbasis getroffen werden. In aller Munde ist derzeit Künstliche Intelligenz (KI) beim Arbeiten und welche Vorteile sie bietet. Solche fortschrittlichen Technologien wie KI zu erkennen und anzuwenden, wird Arbeitgebern einen Vorteil verschaffen und helfen, ihre Büroumgebungen bestmöglich nach ESG-Prinzipien zu betreiben.
Auch die Rücksicht auf die körperliche und mentale Gesundheit der Angestellten kann ein Grund sein, ins Büro zu kommen: Zugang zu Fitnessstudios und Yoga-Kursen können dazu beitragen, ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen. Und Pluspunkte bei der Entscheidung für einen Arbeitgeber und den Weg ins Büro sein. Frei nach dem Motto: Wo man gerne ist, fährt man auch hin.
Die Gründe für und gegen das Arbeiten in zentralen Büros sind allerdings höchst individuell und hängen teils auch von der Rolle sowie den Aufgaben oder ganz einfach der Auftragslage ab. Es wird jedenfalls kein Zurück mehr zu den Arbeitsnormen vor Corona geben. Die Organisationen, die das verstehen, haben einen entscheidenden Vorteil beim Binden und Gewinnen von Mitarbeitern. Das Business profitiert obendrein.
Das Einsetzen neuer Technologien und die Anwendung in modernen, ESG-konformen Büros geht aber zu langsam vonstatten. Am Beispiel Deutschland zeigt sich das deutlich: Mehr als zwei Dritteln der deutschen Büros droht laut einer Studie die Überalterung*. Zum einen könnten sie Stranded Assets werden, zum anderen werden diese Gebäude nicht bei der klimaneutralen Transformation des Gebäudesektors helfen. Wollen wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen, müssen wir hier deutlich an Tempo zulegen.